Guter Musik-Journalismus & Tokenismus | Was wir von Yannick Niang lernen können
Der Start als Musikjournalist bei Diffus, Umgang mit Kritik und Wünsche für die Musikindustrie.
“Seid euch nicht zu schade, mit eurer Kunst an den Menschen zu treten. Schämt euch nicht. Klopft an Türen, putzt die Türklinken und geht Leuten auf die Nerven.”
Yannick Niang (Musikjournalist & DJ)
Was für Artists gilt, das gilt im weitesten Sinne auch für Journalisten:innen. Ob man ein YouTube-Video macht, ein Insta-Reel veröffentlicht oder einen Podcast aufnimmt, man möchte gesehen und gehört werden. Das schafft man natürlich nur mit sehr viel Ehrgeiz, indem man lange dran bleibt und indem man Mechanismen und Technik oder Techniken versteht - oder zumindest die Leute im Team hat, die sich damit auskennen. Um all diese Punkte geht es im ThemaTakt-Interview mit Yannick Niang. Das könnt ihr jetzt als Zweiteiler hören. Und hier könnt ihr ein paar Learnings lesen:
1. Die eigene Plattform: Warum du dein Sprachrohr brauchst
Yannick bringt es auf den Punkt: Wer im Musikjournalismus oder generell als Kreative:r arbeitet, sollte sich eine eigene Plattform schaffen. Dabei geht es nicht um Selbstdarstellung, sondern um den Wunsch, etwas zu erschaffen und unabhängig von Gatekeepern und Institutionen die eigenen Themen, Interessen und Perspektiven sichtbar zu machen. Die eigene Plattform ermöglicht es, unabhängig zu bleiben und selbst zu bestimmen, welche Inhalte relevant sind. Ob Gaming, Musik oder gesellschaftliche Themen – du kannst alles abdecken, was dich interessiert, und dabei authentisch bleiben. Es ist dein Raum, in dem du dich ausprobieren, Fehler machen und daran wachsen kannst.
Der Einstieg muss nicht perfekt sein. Yannick erzählt, dass auch die ersten Folgen seines Podcasts „Gang Gang“ alles andere als ausgereift waren – aber sie waren ein wichtiger Schritt für seine Entwicklung. Es lohnt sich, einfach loszulegen, einen eigenen Podcast, Blog oder YouTube-Kanal zu starten, auch wenn es anfangs chaotisch wirkt. Nutze Social Media, um deine Inhalte zu verbreiten, aber lass dich nicht vom Algorithmus stressen. Vernetze dich mit anderen Kreativen, um Synergien zu schaffen und gemeinsam Reichweite aufzubauen. Warte nicht auf den perfekten Moment oder das perfekte Equipment – fang an, lerne unterwegs und hab Spaß dabei.
2. Mit Kritik, Cancel-Culture & Selbstzweifeln umgehen
Sichtbarkeit bringt zwangsläufig Feedback mit sich – und das ist nicht immer angenehm. Yannick spricht offen über seine Erfahrungen mit Kritik, Cancel Culture und dem berühmten Impostor-Syndrom. Wichtig ist, konstruktive Kritik anzunehmen, solange sie nicht beleidigend oder rassistisch ist, denn sie hilft dir, dich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig ist Selbstreflexion gefragt: Überlege ehrlich, was an der Kritik dran ist und was du getrost ignorieren kannst. Es hilft, ehrliches Feedback von Kolleg:innen oder Freund:innen einzuholen, um die eigene Wahrnehmung zu justieren.
Gerade viele marginalisierte Menschen fragen sich, ob sie nur wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder anderer Merkmale gebucht werden. Yannick betont, dass am Ende zählt, dass du deine Miete zahlen kannst und deinen Job gut machst. Führe vielleicht ein „Kritik-Tagebuch“, in dem du festhältst, welche Rückmeldungen dich weitergebracht haben und welche du vergessen kannst. Sprich offen mit anderen über Selbstzweifel – du bist nicht allein! Setze dir außerdem klare Grenzen: Nicht jede Diskussion im Netz musst du führen.
3. Tokenismus: Zwischen Repräsentation und Instrumentalisierung
Tokenismus ist ein zentrales Thema im Podcast – und ein echtes Minenfeld. Yannick beschreibt, wie marginalisierte Personen oft als „Aushängeschild“ für Diversität herhalten müssen, ohne dass sich an den Strukturen wirklich etwas ändert. Tokenismus erkennst du daran, dass du nicht wegen deiner Fähigkeiten, sondern wegen deines „Looks“ gebucht wirst. Oft werden Kampagnen zu Pride Month, Black History Month & Co. für Marketingzwecke ausgeschlachtet, ohne dass echte Veränderung stattfindet. Die Zusammenarbeit fühlt sich dann gezwungen oder inszeniert an.
Um dem zu begegnen, empfiehlt Yannick, klar zu kommunizieren und nachzufragen, warum du für ein Projekt angefragt wirst und was der Mehrwert für beide Seiten ist. Es ist wichtig, auch mal „Nein“ zu sagen, wenn du dich instrumentalisiert fühlst. Wenn du selbst Projekte leitest, achte darauf, Diversität wirklich zu leben und nicht nur zu zeigen – es geht nicht um Quoten, sondern um echte Vielfalt. Diversität sollte keine Checkliste sein, sondern eine Chance, verschiedene Perspektiven einzubinden. Und: Sprich offen über das Thema, auch wenn es unangenehm ist.
4. Künstlerförderung: Empathie schlägt Algorithmus
Yannick arbeitet als Scout für den Universal Music-Vertrieb Chapter ONE und gibt spannende Einblicke in die Arbeit hinter die Kulissen. Sein Ansatz ist es, Musik nicht einfach in „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen, sondern das Potenzial und die Vision der Künstler:innen zu erkennen. Ein guter Scout oder Musikjournalist zeichnet sich durch Empathie aus: Versetze dich in die Künstler*innen hinein, versuche zu verstehen, was sie antreibt und was ihre Vision ist. Offenheit ist gefragt – hör nicht nur auf Zahlen und Reichweiten, sondern gib auch dem „Underdog“ eine Chance. Statt Musik vorschnell zu bewerten, beschreibe lieber, was sie mit dir macht. Nicht jeder Hit ist ein One-Hit-Wonder – manchmal ist es der „Grower“, der bleibt.
5. Burnout, Umwege & Neustart: Warum ein sicherer Job kein Rückschritt ist
Yannick spricht offen über seine Zeit bei Diffus, die ihn an seine Grenzen gebracht hat. Nach dem Ausstieg ist er im Einzelhandel gestartet, um finanziell abgesichert zu sein. Finanzielle Sicherheit gibt dir die Freiheit, kreativer zu arbeiten, weil du nicht jeden Monat Existenzängste haben musst. Umwege sind normal, niemand hat eine „gerade“ Karriere. Jeder Job bringt neue Fähigkeiten und Perspektiven mit sich. Selbstfürsorge ist wichtig, denn Burnout ist real. Achte auf dich und zieh rechtzeitig die Reißleine.
Überlege dir, wie du deine Fixkosten decken kannst, ohne dich komplett zu verausgaben. Plane kreative Projekte so, dass sie dich nicht auffressen. Sprich offen über Überforderung – auch mit Kolleg:innen. Und denk daran: Auch Beyoncé hat mal im Friseursalon ihrer Mutter ausgeholfen. Und die ist heute Queen B!
6. Sichtbarkeit, Mut & Community: Geh raus mit deiner Kunst!
Yannick appelliert an alle Künstler:innen und Kreativen: Habt keine Angst, euch zu zeigen! Viele unterschätzen, wie groß die Hilfsbereitschaft und das Interesse anderer sind. Geh aktiv auf Leute zu, schick deine Musik, deine Texte, deine Ideen raus. Nicht jeder Song wird sofort ein Hit, manchmal braucht es mehrere Anläufe. Baue dir eine Community auf, vernetze dich mit anderen, unterstütze sie – und lass dich auch selbst unterstützen.
Setze dir kleine Ziele, zum Beispiel einen Song pro Monat, einen Post pro Woche oder ein neues Netzwerkgespräch pro Quartal. Feiere kleine Erfolge und lerne aus Rückschlägen. Teile deine Erfahrungen offen, um anderen Mut zu machen. Und nimm dir Yannick Niangs Motto zu Herzen: „Wenn du etwas fühlst, mach es einfach!“
7. Zukunft der Musikbranche: Mehr Menschlichkeit, weniger Aufmerksamkeitsjagd
Zum Schluss wünscht sich Yannick für die Musikbranche mehr Menschlichkeit und echte Begeisterung für Kunst – statt einer toxischen Aufmerksamkeitsökonomie. Das bedeutet für dich: Setze auf Qualität statt Quantität, lieber ein gutes Projekt als zehn halbgare. Pflege echte Beziehungen zu Fans und Kolleg:innen, denn Social Media ist kein Ersatz für echte Gespräche. Bleib neugierig und offen – die Branche verändert sich ständig, und das ist auch gut so.
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Ich habe sehr viel von Yannick gelernt und er wird wahrscheinlich nicht das letzte Mal zu Gast im ThemaTakt-Podcast sein. Folg ihm auf TikTok, um sein Projekt “A Track a Day” zu supporten. Und noch etwas Werbung und ein besonderes Announcement über das ich mich sehr freue:
1. ThemaTakt-Live-Podcast auf dem Pop-Kultur-Festival
Mit den drei Gründern der Veranstaltungsreihe Unreleased Berlin spreche ich über Entstehungsgeschichte, Konzept & Learnings.
Wann: am 25.08.2025 von 19h20 - 20h20
Wo: Im Silent Green Berlin (Kuppelhalle)
Preis: Ca. 12 Euro für den Tagespass (dafür kannst du dir alle Talks an dem Tag schauen)
Wenn du gerne kommen würdest, aber es dir gerade nicht leisten kannst, antworte auf die Newsletter-Mail oder schreib an info@thematakt.de
Vielen Dank fürs Lesen und bis bald!



